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Autor: Albrecht Selge
Schlürfend: Saisonschlüsse im Konzerthaus und an der Komischen Oper

So wie der nördliche Mensch im Herbst Sonne schlürft, um den endlosen Winter zu überstehen, schlürft der Konzertgänger im Juli Musik, um die endlose Sommerpause zu überstehen. Zweimal am Wochenende: Die Komische Oper spielte zum Abschluss ihres Neuproduktions-Festivals Mussorgskys Jahrmarkt von Sorotschinzi (mehr dazu unten), und im KONZERTHAUS gabs ein Programm mit Musik und Sonne.
Und, wichtiger als Sonne: Sommernacht. Kein Open-Air-Quatsch, sondern ein schönes spanisch-baskisches Programm des Konzerthausorchesters mit dem spanischen Dirigenten Josep Pons und zwei hinreißenden Sängerinnen. Wobei hinreißend, frei nach Loriot, das künstlerische Gesamtkonzept ist; rein sängerisch hinreißend ist zumindest eine der beiden. „Schlürfend: Saisonschlüsse im Konzerthaus und an der Komischen Oper“ weiterlesen
Albernbitter: „Barbiere“ und anderes beim Komische-Oper-Festival
Praktisches Wachkitzel-Extra für Schlafmützen vor den Sommerferien: sechs Neuproduktionen der zu Ende gehenden Saison im Schnelldurchlauf beim Komische Oper Festival. Das geht natürlich nur bei einem Haus, das seine Aufführungen fast ausschließlich aus dem Ensemble besetzt.
Bei Gioachino Rossinis Il barbiere di Siviglia, der dritten Aufführung (nach Petruschka/L’Enfant et les Sortilèges und den Perlen der Cleopatra), zeigen sich Licht und Schatten des Komische-Oper-Prinzips: (aber)witzige Inszenierung und geschlossene Ensembleleistung. „Albernbitter: „Barbiere“ und anderes beim Komische-Oper-Festival“ weiterlesen
Verwunschkonzert: Konzerthausorchester und Kitajenko spielen Strawinsky, Tschaikowsky, Schostakowitsch
Alle Berliner Orchester sind schon in den Sommerferien oder auf Überlandtournee, nur das Konzerthausorchester hält noch die Stellung. Nach dem Abschied Patricia Kopatchinskajas (der nur ein halber Abschied ist, nämlich als Artist in Residence) jetzt ein weiterer Abschied: Dmitrij Kitajenko gibt aus Altersgründen sein letztes Konzert als offizieller Erster Gastdirigent des Hauses. Der Slowake Juraj Valčuha, 36 Jahre jünger, wird sein Nachfolger.
Die Altersgründe sieht man Kitajenko nicht an, das Geburtsjahr 1940 bei Wikipedia wirkt wie ein Tippfehler. Im Januar kommt er auch schon zurück, dann als normaler Gastdirigent, wieder mit einem russischen Programm. Also ebenfalls nur ein halber Abschied. Zum Glück.
Kurtágesk: „Kafka-Fragmente“ mit Anna Maria Pammer und Patricia Kopatchinskaja
Late-Night-Formate sind die wahren Familienkonzerte: Wenn die braven Kinder schnarchen und auch die Ehefrau holdselig schlummert, dann huscht der unruhige Konzertgänger leise ins Konzerthaus zu György Kurtágs Kafka-Fragmenten. Hoch oben im gold- und glitzerfreien Werner-Otto-Saal, erst blau illuminiert wie ein Weg im Herbst oder ein hoher Traum, später rot wie die Süßigkeit der Trauer und der Liebe — oder aber wie die Jagdhunde im Hof.
Anna Maria Pammer singt, Patricia Kopatchinskaja geigt. „Kurtágesk: „Kafka-Fragmente“ mit Anna Maria Pammer und Patricia Kopatchinskaja“ weiterlesen
Wahnsinnig konsequent: Wolfgang Rihms „Jakob Lenz“ an der Staatsoper Berlin

Letzte Premiere der Staatsoper im Schillertheater, bevor sie wieder zur Staatsoper Unter den Linden wird! Tout Berlin hat sich zu dieser Premieren-Derniere versammelt, fast janz tout zumindest: Peymann, Reimann, Riemann (Claus, Aribert, Katja), Jochen Waltz & Sasha Sandig etc pp. Auf der Bühne und im Graben kein Star-Soufflé, sondern ein gewichtiges Stück neue bzw Neue Musik, wie es die Staatsoper in sympathischer Konsequenz jedes Jahr zum Saisonabschluss premiert: diesmal Wolfgang Rihms Jakob Lenz, Wahnsinns-Kammeroper von 1977/78 frei nach Georg Büchner. Von Andrea Breth erstmals auf die große Bühne gehoben, nach den koproduzierenden Bühnen von Stuttgart und Brüssel jetzt auch in Berlin.
Die Titelpartie ist der Wahnsinn. 13 wilde Sänger stellen den Dichter J.M.R. Lenz dar, der krass der Welt abhanden kommt, und alle 13 sind Georg Nigl: „Wahnsinnig konsequent: Wolfgang Rihms „Jakob Lenz“ an der Staatsoper Berlin“ weiterlesen
Pickende Hühner und versunkene Kathedralen – Sommermusik für eine trunkene Fahrt
Lese- und Hörstoff für die Sommerferien: Ein einbeiniger Chauffeur. Ein heruntergekommener Musikkritiker. Ein genialer, cholerischer Pianist. Und ein Jurastudent, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat. Diese vier Männer quetschen sich in einen engen Fiat Panda und brausen einen Tag lang gemeingefährlich durch die Alpen, palavern über Gott und die Welt und immer wieder über Musik, bechern dabei jede Menge Wein und Tiroler Schnäpse. So fahren sie dem Untergang der Sonne entgegen – und vielleicht auch ihrem eigenen.
Weiterlesen und Hören bei Idagio / Direkt zum Roman (Rowohlt)
Ungewöhnlich: Konzerthausorchester, Venzago, Tabea Zimmermann spielen Michael Jarrell und Schumann
Nichts lieben die Kinder des Konzertgängers an der täglichen LOGO-Sendung mehr als den täglichen Tag des/der soundso: des Eichhörnchens, der Mundhygiene, des Glücks. Sehr passend also das Freitagsprogramm des Konzerthausorchesters zum Tag der ungewöhnlichen Instrumente. Denn was ist schon eine Flammenorgel, ein Trautonium, eine Glasharfe im Vergleich zu einer … Bratsche?
Kreuzluftspiegelnd: Wiederaufnahme „Don Carlo“ an der Deutschen Oper
Hier keine Perlenfischer. In Berlin hat man ja den Luxus, nach anderen Perlen zu fischen: Man kann z.B. Giuseppe Verdis Don Carlo, gestern an der Deutschen Oper wiederaufgenommen, mit dem eben gehörten Don Carlo an der Staatsoper vergleichen. Dort alles in allem differenzierter, hier theatralischer, auch plakativer, für den Konzertgänger letztlich aber emotional berührender.
Noch anregender der Vergleich mit dem sehens- und hörenswerten Boris Godunow, der eben an der Deutschen Oper Premiere hatte: Traurige Despoten unter sich, der Boris und Carlos Vater Philipp (siehe rechts). Beide wahrscheinlich gar keine schlechten Könige, so sub specie historiae betrachtet. Aber wie sie sich quälen sich sub specie aeternitatis (im Puschkin-Russland) bzw sub specie amoris (im Schiller-Spanien). „Kreuzluftspiegelnd: Wiederaufnahme „Don Carlo“ an der Deutschen Oper“ weiterlesen
Unruhevoll: Robin Ticciati & DSO spielen Gabrieli, Purcell, Adès, Mahler
Rein äußerlich wirkt Robin Ticciati wie ein Student, der einem in der U-Bahn mit seiner Gitarre ein bissl auf den Senkel geht, aber dabei grundsympathisch ist auf seine wuschlig-schüchterne Art. Als Dirigent in der Philharmonie jedoch, noch dazu baldiger Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters, weiß er offenhörlich, was er tut. Beeindruckend hoher Klangsinn. Nur die ganz großen dramaturgischen Bögen in den ganz großen Werken scheinen manchmal brüchig. Aber nicht der Spannungsbogen des Konzerts: ein ausgefinkeltes, subtil zusammengestelltes Programm ist das. „Unruhevoll: Robin Ticciati & DSO spielen Gabrieli, Purcell, Adès, Mahler“ weiterlesen