Albernbitter: „Barbiere“ und anderes beim Komische-Oper-Festival

tickling the sleeperPraktisches Wachkitzel-Extra für Schlafmützen vor den Sommerferien: sechs Neuproduktionen der zu Ende gehenden Saison im Schnelldurchlauf beim Komische Oper Festival. Das geht natürlich nur bei einem Haus, das seine Aufführungen fast ausschließlich aus dem Ensemble besetzt.

Bei Gioachino Rossinis Il barbiere di Siviglia, der dritten Aufführung (nach Petruschka/L’Enfant et les Sortilèges und den Perlen der Cleopatra), zeigen sich Licht und Schatten des Komische-Oper-Prinzips: (aber)witzige Inszenierung und geschlossene Ensembleleistung. Das Licht überwiegt, denn sängerisch gibt es keine großen Ausreißer nach oben (am ehesten Nicole Chevalier), aber eben auch nicht nach unten. Orchester und Dirigent Antonello Manacorda fahren am Anfang (allesamt in T-Shirts) und am Schluss (ganz in Schwarz) hoch, was immer schön ist, weil man dann endlich mal ein Opern-Orchester vernünftig hört. Einschließlich der Unsauberkeiten im Zusammenspiel zwar, aber insgesamt recht beschwingt, zumal im Holz.

RossiniDie Inszenierung des Regisseurs Kirill Serebrennikov, der in Russland drangsaliert und jetzt sogar wegen drohender Verschwulung des heiligen Vaterlandes aus dem Bolschoi-Theater geschmissen wurde, ist turbulent und angemessen albern. Almaviva (Tansel Akzeybek) chargiert zwischen schmierigem Youtube-Star, Conchita-Wurst-Musiklehrer*in und IS-Gotteskrieger, Rosina (Chevalier) ist die sexy Schlampe vom Trödelladen, der Figaro (Dominik Köninger) tritt mit drei Doppelgängern auf, alle vier mit fiesem Herren-Dutt und Ohrring-Öhren, durch die ein Kamel ginge. Denis Milo ist ein Fiorello mit auffällig starker stimmlicher Kontur und hoher Bühnenpräsenz. Der olle Bartolo indes (Philipp Meierhöfer, verschnupft) wirkt so herzflimmrig, dass einem angst und bange wird. Er wird als traurige, einsame Gestalt zur heimlichen Hauptfigur.

Und das ist das Schönste an Serebrennikovs wüster Klamauk-Inszenierung (Mantel des Schweigens über die unmotivierten Videoprojektionen): wohldosierte, aber um so tiefere Momente von Bitterkeit. Zwar zündet nicht jeder Witz synchron zur Musik. Und die Diskrepanz zwischen dem Singen vor dem Orchester und weit hinten im Bühnenraum ist zu groß, erst recht in der schwierigen Akustik der Komischen Oper. Aber wenn nach den beiden Aktschlüssen der Leierkasten unsäglich in die Stille jault, blickt man in einen Abgrund.

Der Nachbar des Konzertgängers schnäuzt sich im selben jaulenden Ton wie der Leierkasten.

In den kommenden drei Tagen stehen drei weitere Neuproduktionen auf dem Programm: Am Freitag Rameaus Zoroastre (den der Konzertgänger famos fand, wofür er sich vom Geist des Barock heftige Vorwürfe anhören musste). Am Samstag Aribert Reimanns Medea, ein New-Belcanto-Schlag in die Magengrube und atemberaubendes Nicole-Chevalier-Solo. Und am Sonntag Modest Mussorgskys Jahrmarkt von Sorotschinzi, über den man alles hört von Ausgrabung der Saison (Kulturradio) bis haarsträubende Enttäuschung (zuverlässige Gewährsleute); da wird die Schlafmütze Konzertgänger nochmal dabei sein.

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Albernbitter: „Barbiere“ und anderes beim Komische-Oper-Festival

14 Gedanken zu “Albernbitter: „Barbiere“ und anderes beim Komische-Oper-Festival

  1. Stefan Treddel schreibt:

    Da bin ich ja froh, dass sich die wirklich elenden Gesangsleistungen im Barbiere zum Ende der Spielzeit gesteigert haben! Ich war in der zweiten Vorstellung und das sängerisch etwas vom Miesesten, was ich je erlitten habe.

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    1. Uwe Mohrmann schreibt:

      ich bin damals in der Pause gegangen. Aber ich habe immer das Gefühl, die KO hat bei den meisten immer einen Extrabonus.

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          1. Dass die Komische Oper einen Bonus hat, kann sogar stimmen, weil man von vornherein nicht wegen erwarteter gesanglicher Höchstleistungen hingeht (außer vielleicht bei der „Medea“). Die Frage ist nur, ob der Bonus unverdient ist — es ist das kleinste und trotzdem in mancher Hinsicht lebendigste Haus. Kann auch sein, dass das Gesangsniveau an den anderen Häusern so nicht durchginge. Trotzdem hat mir die Aufführung mit ihrer Mischung aus Klamauk und Tristesse viel über das Stück verraten, und das geht nicht ohne die Sänger. Wenn es auch, zugegeben, eher Hochdrucksingen als Belcanto ist. Auf CD würde ichs mir nicht mit heimnehmen, wieder hingehen schon.

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            1. Uwe Mohrmann schreibt:

              Albrecht, ich geben Ihnen ja recht. Es ist auf alle Fälle das lebendigste Haus, und möchte es auch auf keinen Fall missen, trotz dieses Operettengehabes, und das meinte ich vor allem mit den Jubelkritikern. Nichts gegen Frau Manzel und Co, aber ich finde die Dinger, die ich gesehen habe, allesamt albern und sehr überzogen. Aber vielleicht bin ich ja doch humorlos :-(((
              Mit den Stimmen hadere ich auch eigentlich nicht, finde aber die Jubelkritiken über Fr. Chevalier und Nadja Mchantaf ein bisschen sehr euphorisch

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              1. Zugegeben, Chevalier und Mchantaf sind herausragend unter dem Maßstab des KO-Ensembles. Alles eine Frage der Relation.
                Man muss sich auch immer aufs Haus einpendeln, in das man geht. An der Komischen Oper erwarte ich gewitztes Schauspiel und frischen Blick und bin froh, wenn es musikalisch nicht komplett aus dem Ruder läuft. Da setze ich an der Deutschen Oper und der Staatsoper eine andere Latte an, musikalisch höher, regiemäßig auf Leerlauf gefasst. Messe ich aber erst den Barbier an klassischen Aufnahmen (oder den Zoroastre daran, wie Rameau bei der Akademie für Alte Musik klingen würde), bin ich natürlich rettungslos verloren.

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                1. Uwe Mohrmann schreibt:

                  also sind wir uns zum Glück doch fast wieder einig. Aber es gibt ja wirklich in Ihrer „Zunft“ so einige Kollegen über die mich ja schon seit langem wundere, und über die wir uns ja anderer Stelle schon ausgetausch haben

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                2. Stefan Treddel schreibt:

                  Ich wünsche mir eine Stückwahl, die auf die Fähigkeiten des Ensembles abgestimmt ist. Barbiere liegt eindeutig darüber, Rameau völlig falsch und rumtransponierte Operette mit fachfremdem Personal mag ich nicht mehr hören… Das ist für mich der falsche Ansatz bei unserem Hauptstädtischen Stadttheater.

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                    1. Uwe Mohrmann schreibt:

                      vielleicht nen Versuch wagen mit deutschen Spielopern, Opernraritäten die für die großen Häuser zu klein sind. Finde jedenfalls das Meistersinger, Pelleas e Melisande, Don Giovanni, Carmen eigentlich dort nichts zu suchen haben.
                      Habe mir gerade mal den Spielplan der nächsten Saison mal unter die Lupe genommen. Dolle ist es ja nicht gerade. Aber vielleicht ist das ein Weg für viele Fans

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                    2. Stefan Treddel schreibt:

                      Spieloper schlage ich auch vor allem vor! Das ist das perfekte Repertoire für dieses Haus. Allerdings ist das Risiko groß, dass es zum Schiffbruch wird. Siehe Vampyr… Weinberg drängt sich ja fast auf!

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